Als Reaktion auf den Fachkräftemangel in der Pflege werben Pflegeeinrichtungen vermehrt Arbeitskräfte aus dem Ausland oder Mitarbeitende mit Migrationshintergrund an. Allein zwischen 2012 und 2017 versechsfachte sich die Zahl an Pflegefachpersonen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Pflegeeinrichtungen sind inzwischen Orte, an denen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen eng zusammenarbeiten.
Für die Alters- und Pflegeheime wird es zu einer Daueraufgabe, Interkulturalität anzuerkennen und proaktiv zu gestalten. Dabei sind zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: eine ganzheitliche Integration sowie die sensible Gestaltung der Teamebene.
Kurz zu den verschiedenen kulturellen Begriffen:
Was ist Kultur:
Ein Aspekt einer bestimmten Kultur ist die Herkunft, welche die Identität der Person bestimmt. Weitere Aspekte, wie das Geschlecht, das Alter, die sexuelle Orientierung, das Leben auf dem Lande oder in der Stadt, die Art der erworbenen Ausbildung, die ausgeübte Arbeit, kulturelle Zugehörigkeit usw., haben oftmals eine noch wichtigere Rolle.
Wie bei uns hat eine Person nicht automatisch alle Merkmale einer Kultur mit allen anderen Angehörigen der jeweiligen Kultur gemeinsam. Religionsausübung, Sprache oder Ernährungsgewohnheiten sind zum Beispiel weder vorbestimmt noch feststehend, sondern sind sehr unterschiedlich. Im Weiteren verändert eine Migrationserfahrung oftmals das Verhältnis zur Herkunftskultur und führt zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Übernahme von Aspekten der Aufnahmekultur.
Daher ist es wichtig, dass jede Person einzeln ihren Ressourcen und Grenzen gemäss analysiert und von den Institutionen mit ihren besonderen Rahmenbedingungen und ihrer Anpassungsfähigkeit inkludiert werden.
Interkulturell:
Interkulturell steht oft in Verbindung mit Kulturen oder genauer gesagt zwischen Individuen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen. Das Wort kann auch das Verständnis darüber meinen, wie das Verhalten eines Individuums und dessen Weltsicht beeinflusst.
Multikulturell:
Dieser Begriff grenzt sich vom interkulturellen soweit ab, dass dies oft als Synonym für kulturelle Diversität benutzt wird. Es beschreibt reale Situationen. Im Allgemeinen wird dieser Begriff in Bezug auf die Existenz oder Co-Existenz verschiedener kultureller Gruppen im selben Raum und Umfeld verwendet.
Interkulturelle Kompetenz:
Im Allgemeinen besteht interkulturelle Kompetenz aus drei Komponenten:
Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen.
Das Wissen bezieht sich auf theoretische Aspekte, die erklären, wie verschiedene kulturelle Gruppen sich verhalten, zusammenarbeiten, kommunizieren und miteinander umgehen sowie was ihre Werte und Annahmen sind.
Die Fähigkeiten beziehen sich auf eine Person, die, basierend auf deren Wissen, mit verschiedenen Situationen umgehen kann.
Bei der Einstellung versteht man die Denkweise oder die Art, wie wir über die kulturellen Differenzen denken und fühlen.
Aus Erfahrungswerten ist genau diese Komponente am schwierigsten anzueignen oder sie zu verändern, da diese Komponente unsere tiefgründigen Weltansichten, Grundannahmen und sogar unsere Gefühle einbeziehen.
Was versteht man unter kultursensible Pflege?
Es ist natürlich, dass auch ältere und pflegebedürftige Menschen mit Migrationshintergrund eine Pflege und Betreuung im Alter bevorzugen, die es ermöglicht, gemäss ihrer Traditionen, Glaubenszugehörigkeit und Kultur zu leben.
Die Bedeutung der kulturellen Pflege ist ein hilfreicher Ansatz, um die Unstimmigkeiten zwischen den Vorstellungen der Migration von der Pflege und denen der Pflegeeinrichtungen zu bewältigen. Eine pflegebedürftige Person wird, dank kultursensibler Pflege, trotz ihrer Einschränkungen und unterschiedlichem Hintergrund entsprechend behandelt und gepflegt.
Nicht selten leben Menschen 40 Jahre und mehr in der Schweiz und beherrschen die Landessprache nicht. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Umso wichtiger, dass alle Bestandteile des jeweiligen kulturellen Lebens berücksichtigt werden. Das heisst aber nicht, dass damit die eigenen kulturellen Eigenschaften ausser Acht gelassen werden müssen. Im Optimalfall soll ein Konsens in der kulturellen Vielfalt geachtet und gefördert werden können.
Durch die Bereitschaft, Kenntnisnahme und Wertschätzung der Pflegekräfte – sowie der Pflegebedürftigen – gegenüber kulturellen Unterschieden wird die Pflegebeziehung verbessert und die interkulturelle Kompetenz einer Einrichtung weiterentwickelt.
In diesem Bericht wird aber nicht weiter auf die kultursensible Pflege eingegangen.
Ausländische Pflegekräfte sind im Berufsalltag mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Gravierende Einschränkungen sind dabei mangelnde Sprachkenntnisse. Auch mangelnde Kenntnisse der Werte und kulturellen Prägungen werden als starke Herausforderung eingeordnet. Durch die verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründe bestehen verschiedene Auffassungen von Grundpflege.
Damit sich Mitarbeitende mit kulturellem Hintergrund auch bei der Arbeit wohlfühlen können, braucht es eine erfolgreiche Integration bei Spracherwerb, soziale Begleitung, Angebote im Privatleben sowie eine Stärkung der interkulturellen Kompetenz.
Viele Mitarbeitende äussern sich dahingehend, dass Multinationalität im Team eine Bereicherung ist, weil Pflegende voneinander lernen können. Pflegende mit Migrationshintergrund können den Teamkollegen wichtige Inputs zur Betreuung von ausländischen Bewohnerinnen und Bewohnern geben.
Wie können ausländische Pflegekräfte mit „schweizerischen“ Werten und Kultur umgehen?
Eine gemeinsame Berufsethik kann dafür eine Basis sein, um Teammitglieder zusammenzuführen. Ethik geht über die Kulturen und Religionen hinaus. Toleranz, Sensibilität, gegenseitiger Respekt und eine gewisse Neugier am Gegenüber sind essenzielle Attribute für eine gelungene und proaktive Zusammenarbeit.
Die grösste Herausforderung für interkulturelle Teams stellen Sprache und Kommunikation dar. Es gilt eine gemeinsame Sprache zu finden. Die Entwicklung einer gemeinsamen „Pflegesprache“ ist ein wichtiger Faktor für das Funktionieren eines interkulturellen Teams und ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Zusammenarbeit.
Offenheit dem Anderen gegenüber ist essentiell. Ebenso wie ein interessierter, neugieriger und respektvoller Umgang gegenüber Heimbewohner*innen.
Herausforderung für Institutionen:
Kulturelle Vielfalt ist inzwischen ein viel genutzter Begriff. Für immer mehr Menschen und Einrichtungen ist eine positive Haltung hierzu selbstverständlich. Gerne wird dies so angenommen, ohne jedoch zu hinterfragen, inwieweit dies tatsächlich im eigenen Unternehmen zutrifft. Leitende Mitarbeitende spielen eine wichtige Rolle, auch in Bezug auf die Klärung der Ressourcenfrage.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Pflege von älteren und kranken Menschen immer auch Kommunikation bedeutet. Es ist bei weitem nicht damit getan, den Menschen das Essen einzureichen, zu waschen und ins Bett zu führen. Das Zwischenmenschliche hat im Pflegealltag eine grosse Bedeutung. Bei Pflegekräften mit Migrationshintergrund fehlt oftmals diese Eigenschaft. Daher ist es wichtig, nicht nur die Sprache zu fördern, sondern auch bewusst den Kontakt zu den Bewohnenden herzustellen und diese über die kulturellen Eigenheiten aufzuklären und zu sensibilisieren. Pflegekräfte mit Migrationshintergrund besitzen nicht selten besondere Fähigkeiten, welche besonders beim Pflegeberuf wichtig sind. Diese gilt es, gezielt einsetzen zu können. So bietet diese Personengruppe nicht nur den Bewohnern, sondern auch dem Umfeld im Pflegeheim zum Beispiel den Vorteil, kulturelles Verständnis zu schaffen, Vertrauen aufzubauen und für tolerantes Miteinander offen zu sein. Somit hat auch die kultursensible Pflege einen hohen Stellenwert in der Zukunft und so können sich Institutionen von anderen abheben.
Prozesse sind zum Teil nicht weitreichend genug, um eine transkulturelle Teambildung und Organisationsentwicklung zu fördern. Die Vielfalt seitens der Mitarbeitenden wird zwar grösstenteils gelebt. Jedoch gibt es bisher kaum einheitliches Vorgehen, um Prozesse der Teambildung und Organisationsentwicklung nachhaltig zu steuern. Es besteht ein hoher institutioneller Anpassungsdruck auf die Mitarbeitenden.
Die Anerkennung und Wertschätzung von Unterschiedlichkeit und Vielfalt in heterogenen Teams braucht Raum und Zeit zu wachsen; unterschiedliche Arbeitskulturen, Standards und Regeln für das Zusammenarbeiten, die Umsetzung einzelner Arbeitsschritte oder Problemlöseprozesse können zu internen Konflikten führen. Insbesondere vorhandene Vorurteile und verdeckte Diskriminierung können hier eine oft unbewusst wirkende Rolle spielen.
Sexuelle Belästigungen und Übergriffe sowie Gewalttätigkeiten sind leider auch ein Teil des Berufsalltags und wird oftmals bei Vorstellungsgesprächen verschwiegen. Der Grund kann darin liegen, dass diese Thematik als nicht so relevant angesehen wird oder den Führungskräften ist es nicht bewusst, wie einschneidend solche Straftatbestände auf die Betroffenen in Bezug auf die Ausübung des Pflegeberufes sein können. Es ist wichtig, dass die Thematik „Sexualität im Alter“ auch in den Pflegeinstitutionen einen Stellenwert hat.
Nicht nur – aber vor allem – angehende Mitarbeitende mit kulturellem und religiösem Hintergrund sind auf diese Erkenntnisse angewiesen, um ein klares Bild schaffen zu können.
Ausländische Pflegekräfte mit kulturellem Hintergrund bemängeln, dass zum Teil bei Vorstellungsgesprächen zu wenig offen über den angehenden Pflegeberuf aufgeklärt wird. Oftmals existieren keine Alters- und Pflegeheime in dessen Herkunftsländer. Die alten, pflegebedürftigen Menschen bleiben in der Regel zu Hause und werden bis zu ihrem Tode von den Angehörigen gepflegt. So besteht ein ganz anderer Bezug zur Nähe, Wahrnehmung, aber auch Abgrenzung gegenüber den Pflegenden.
Mitarbeiter*innen mit kulturellem Hintergrund sind oftmals überrascht, wie offen Mitmenschen im unmittelbaren Umfeld über die Sexualität sprechen. Auch wenn Sexualität in Seniorenzentren immer noch eher ein Tabuthema ist, wird diese auf verschiedenen Arten ausgelebt. Somit wird das Personal in den Pflegeeinrichtungen früher oder später damit konfrontiert werden.
Lösungsansätze:
Junges Pflegepersonal in der Ausbildung kann sich in der Regel schnell an die hiesigen Gegebenheiten anpassen. Wichtiger als dessen religiöse Einstellung oder Ansichten ist vielmehr, wie ihre Eltern und nächsten Angehörigen mit dieser Offenheit umgehen. Auch wenn die Eltern kulturell und religiös stark in ihrem Herkunftsland verankert sind, braucht es ihre Offenheit gegenüber der hiesigen Kultur und Einstellung. Die Unterstützung im Verlaufe der Lehrzeit von den Eltern ist nicht zu unterschätzen. Ist diese nicht vorhanden, besteht die Gefahr, dass es zwischen Eltern, Kind und der Institution zu Konflikten kommen kann. Ein achtsames Vorgespräch mit der jungen erwachsenen Person, welche den Pflegeberuf erlernen möchte und dessen Eltern ist zu empfehlen, bei dem die erwähnte Thematik angesprochen werden kann. Das beinhaltet auch, wie die Institution damit umgeht.
Rassismus ist jederzeit klar zu unterbinden. Durch Befragungen wurde festgestellt, dass eher Mitarbeiter mit Rassismus konfrontiert werden, wenn ein Sprachproblem vorhanden ist. Es weckt den Anschein, dass Menschen mit kulturellem Hintergrund, welche die Sprache beherrschen, eher von Bewohner*innen akzeptiert und respektiert werden und daher zu weniger Rassismus führt. Somit wird auch hier die Sprache als wichtige Brücke angesehen.
Frauen wie Männer mit Migrationshintergrund kommen in ein fremdes Land, in dem eigene Regeln, Vorschriften, eigene Kulturen und Ansichten vorhanden sind. In der Regel möchten Menschen, die im Pflegeberuf arbeiten, sich auch an die hiesigen kulturellen, aber auch religiösen Eigenheiten so gut es geht anpassen.
Selten üben Menschen den Pflegeberuf aus, wenn sie sehr streng religiös oder in ihrer Kultur stark verankert sind. So ist ein offenes Weltbild Voraussetzung, um diesen Beruf ausüben zu können.
Um eine solch positive und professionelle Grundhaltung entwickeln zu können, bedarf es einer guten Aus- und Weiterbildung. Dies betrifft vor allem Mitarbeitende mit interkulturellem Hintergrund, welche in unserer Kultur und sexuellen Ansichtsweisen achtsam und wertschätzend geschult werden.
Es ist durch die Ausbildung insbesondere darauf zu achten, dass nicht Vorstellungen anderer Kulturkreise unkritisch angewandt werden, anderseits bedarf es einer sensiblen und respektvollen Heranführung an die hier geltenden Vorstellungen.
Es ist immer wieder ein Teil des Prozesses, dass man seine eigene Haltung in Bezug auf Sexualität prüft.
Es braucht ein besonderes Verständnis und die Achtsamkeit von den Vorgesetzten, dass multikulturelle Mitmenschen Zeit brauchen, um mit der westlichen Offenheit und Ansichten, sei es in religiösen oder sexuellen Themen, klarzukommen. So werden diese oftmals von verschiedenen Seiten ohne böse Absichten mit unserer westlichen Mentalität überrumpelt. Es ist gut, wenn Vorgesetzte, aber auch das Personal sich dessen bewusst sind und ihre multikulturellen Mitmenschen die nötige Zeit geben. Dazu gehört auch, bewusst das Gespräch zu suchen, wie sich Menschen mit kulturellem Hintergrund fühlen und diese auch wertschätzend ins Team zu integrieren.